Zweifel an AU: Betrieb lässt Mitarbeiter heimlich filmen

Zweifel an AU: Betrieb lässt Mitarbeiter heimlich filmen

Ein Handwerksbetrieb aus Niedersachsen hat offenbar über einen längeren Zeitraum hinweg heimlich einen seiner Mitarbeiter per Videoüberwachung gefilmt, um dessen Krankschreibungen zu überprüfen. Der Vorfall wirft rechtliche und datenschutzrechtliche Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Zulässigkeit verdeckter Überwachungsmaßnahmen durch Arbeitgeber.

Nach Angaben des betroffenen Mitarbeiters war er über Monate hinweg arbeitsunfähig geschrieben und habe sich an alle Vorgaben seiner Krankenkasse gehalten. Dennoch hatte der Arbeitgeber offenbar Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) und veranlasste daraufhin eine Überwachung des Mitarbeiters durch eine externe Detektei. Die Überwachung umfasste unter anderem Videoaufnahmen, die ohne Wissen des Mitarbeiters erstellt wurden.

Die gefilmten Aufnahmen wurden demnach bei der ärztlichen Begutachtung des Mannes eingereicht. Ziel sei gewesen, die Arbeitsunfähigkeit infrage zu stellen. Ein Sprecher der Handwerkskammer, die sich zu dem Fall äußerte, warnte in diesem Zusammenhang vor dem Einsatz heimlicher Überwachung: Arbeitgeber seien nicht berechtigt, ohne Weiteres derartige Maßnahmen zu ergreifen, um Zweifel an Krankschreibungen zu belegen. Vielmehr müssten zunächst mildere Mittel ausgeschöpft werden.

Rechtlich gesehen sind verdeckte Videoüberwachungen durch Arbeitgeber in Deutschland nur in sehr engen Grenzen zulässig. Grundsätzlich bedürfen sie eines konkreten Verdachts auf eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch den Arbeitnehmer. Zudem muss das eingesetzte Mittel verhältnismäßig sein und darf keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht oder die Privatsphäre darstellen. Diese Kriterien ergeben sich unter anderem aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und aus Vorschriften des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG), insbesondere § 26 zum Beschäftigtendatenschutz.

Die Videoüberwachung im konkreten Fall erfolgte offenbar von öffentlichem Grund aus und richtete sich auf das Privatgrundstück des Mitarbeiters. Zwar kann die Überwachung von öffentlichen Flächen unter bestimmten Voraussetzungen zulässig sein – sobald jedoch private Bereiche betroffen sind, steigen die Hürden deutlich. Der Landesbeauftragte für Datenschutz in Niedersachsen betonte gegenüber der Presse, dass eine Überwachung des privaten Umfelds grundsätzlich unzulässig sei, selbst wenn ein Verdacht auf Vortäuschen einer Krankheit bestehe. In einem derartigen Fall müssten Arbeitgeber andere Wege wählen, etwa ein betriebsärztliches Gutachten oder eine Nachfrage bei der Krankenkasse.

Datenschützer und Arbeitsrechtler stufen das Verhalten des Betriebs daher als klaren Verstoß gegen das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen ein. Sollte der Mitarbeiter infolge der Videoüberwachung psychisch beeinträchtigt worden sein, könnten sogar Ansprüche auf Schmerzensgeld entstehen. Auch strafrechtlich könnte die Maßnahme Konsequenzen haben: Das unerlaubte Filmen könnte eine Straftat nach § 201a Strafgesetzbuch (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) darstellen, in besonders schweren Fällen ist eine Geld- oder Freiheitsstrafe möglich.

Die Handwerkskammer mahnte Betriebe eindringlich zur Zurückhaltung bei derartigen Maßnahmen. Zwar sei verständlich, dass Arbeitgeber bei Zweifeln an AU-Bescheinigungen nachprüfen wollen, jedoch dürften sie dabei nicht sämtliche Grenzen missachten. Der Ruf nach mehr Missbrauchsschutz dürfe nicht auf Kosten der Grundrechte von Beschäftigten gehen. Die Kammer empfiehlt, bei Verdachtsfällen zunächst das Gespräch mit dem Arbeitnehmer zu suchen und gegebenenfalls externe arbeitsmedizinische Stellen einzubeziehen.

Für betroffene Arbeitnehmer gilt umgekehrt, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nicht nur durch die AU-Bescheinigung, sondern auch faktisch – etwa durch Verhalten im Einklang mit der Erkrankung – plausibel machen müssen. Das bedeutet jedoch nicht, dass beispielsweise Spaziergänge oder Einkäufe während einer Krankschreibung automatisch verdächtig seien. Maßgeblich ist, ob das Verhalten die Genesung unterstützt oder behindert.

Die Kontroverse um den vorliegenden Einzelfall reiht sich in eine breitere gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Krankmeldungen ein. Zwar berichten Krankenkassen und Arbeitgeberverbände regelmäßig über angeblichen Missbrauch von Krankschreibungen, jedoch liegen belastbare Zahlen hierzu kaum vor. Gleichzeitig nehmen Einzelfälle wie dieser medial große Präsenz ein – häufig auf Kosten der Betroffenen.

Ob das Vorgehen des niedersächsischen Handwerksbetriebs rechtliche Konsequenzen haben wird, ist derzeit noch offen. Der betroffene Mitarbeiter prüft offenbar eine strafrechtliche Anzeige sowie arbeitsrechtliche Schritte gegen den Arbeitgeber. Arbeitsrechtsexperten gehen davon aus, dass insbesondere zivilrechtlich erhebliche Ansprüche auf den Betrieb zukommen könnten, sollten die Aufzeichnungen rechtswidrig erstellt worden sein. In jedem Fall wird der Vorfall den Diskurs über Arbeitnehmerrechte, Überwachung und das Gleichgewicht von Kontrolle und Vertrauen im Beschäftigungsverhältnis weiter anfachen.

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