Zweifel an AU: Betrieb lässt Mitarbeiter heimlich filmen
Ein Handwerksbetrieb aus Niedersachsen hat laut einem aktuellen Bericht für Aufsehen gesorgt, nachdem bekannt wurde, dass Mitarbeitende heimlich bei der Krankmeldung observiert und teilweise sogar per Video überwacht wurden. Ziel dieser Maßnahme war es offenbar, Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) einzelner Beschäftigter zu untermauern. Die juristische Bewertung solcher Überwachungen ist eindeutig: Heimliche Videoaufnahmen durch den Arbeitgeber sind grundsätzlich nur unter sehr engen Voraussetzungen zulässig und können erhebliche rechtliche Konsequenzen haben.
Schwerwiegender Eingriff in Persönlichkeitsrechte
Der betroffene Arbeitgeber, ein Handwerksunternehmen mit mehreren Beschäftigten, hatte laut Bericht den Verdacht, dass sich einige Mitarbeitende unberechtigt krankgemeldet hätten. Um diese Vermutung zu überprüfen, beauftragte der Betrieb ein Detektivbüro mit der Observation. In mindestens einem Fall erfolgte diese Überwachung mithilfe versteckter Kameras.
Juristisch betrachtet stellt dieses Vorgehen einen erheblichen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der betroffenen Personen dar. Videoaufzeichnungen im privaten Umfeld eines Mitarbeitenden – beispielsweise vor dessen Wohnung oder bei Freizeitaktivitäten – unterliegen strengen gesetzlichen Regelungen. Die heimliche Aufnahme von Bildmaterial ohne Wissen und Zustimmung der betroffenen Person ist nach deutschem Recht grundsätzlich unzulässig, wenn keine außergewöhnlich gewichtigen Verdachtsmomente vorliegen und mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen.
Rechtlicher Rahmen: § 26 BDSG und Bundesarbeitsgericht
Der rechtliche Maßstab ergibt sich insbesondere aus § 26 des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) in Verbindung mit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG). Überwachungsmaßnahmen dürfen demnach nur erfolgen, wenn ein konkreter, dokumentierter Verdacht einer schwerwiegenden Vertragsverletzung besteht, der durch mildere Mittel wie ein Gespräch oder eine ärztliche Überprüfung nicht hinreichend geklärt werden kann. Andernfalls ist eine solche Maßnahme laut Gericht unzulässig und stellt einen Verstoß gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen dar.
Im konkreten Fall scheint es zweifelhaft, ob der Betrieb diese Voraussetzungen erfüllt hat. Die AU ist zunächst ein gesetzlich anerkanntes Dokument, das von einem Arzt ausgestellt und durch Arbeitgeber grundsätzlich zu akzeptieren ist. Ein allgemeines Misstrauen oder die Annahme, dass sich jemand „nur krankstellt“, genügen keinesfalls, um eine heimliche Überwachung zu rechtfertigen.
Konsequenzen für den Arbeitgeber
Noch ist unklar, ob die beobachteten Mitarbeitenden juristische Schritte eingeleitet haben. Sollten sie jedoch Klage erheben, könnten dem Unternehmen empfindliche Konsequenzen drohen. Diese reichen von Unterlassungs- und Schadensersatzforderungen bis hin zu arbeitsrechtlichen Nachteilen im Falle einer ungerechtfertigten Kündigung. Auch datenschutzrechtliche Sanktionen durch Aufsichtsbehörden sind nicht auszuschließen.
Darüber hinaus kann eine heimliche Observation das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Belegschaft nachhaltig beschädigen. Führungskräfte, die auf Überwachung statt Aufklärung setzen, riskieren das Vertrauensverhältnis im Betrieb dauerhaft zu gefährden. Betriebsräte – sofern vorhanden – haben bei der Einführung technischer Überwachungsmaßnahmen laut Betriebsverfassungsgesetz ein zwingendes Mitbestimmungsrecht. Werden sie übergangen, können Maßnahmen allein deshalb rechtswidrig sein.
AU nur bei konkretem Anlass hinterfragen
Unternehmen steht es grundsätzlich frei, Zweifel an einer AU zu äußern, beispielsweise dann, wenn sich Krankmeldungen im Zusammenhang mit abgelehntem Urlaub oder häufiger um Wochenenden herum häufen. In solchen Fällen besteht die Möglichkeit, den Medizinischen Dienst der Krankenkassen einzuschalten, um eine Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit zu veranlassen. Dabei handelt es sich um ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren mit definierten Abläufen und Regeln.
Die Einschaltung eines privaten Ermittlungsdienstes ist demgegenüber ein äußert scharfes Mittel, das arbeitsrechtlich sowie datenschutzrechtlich nur in Ausnahmefällen gerechtfertigt ist. Bereits die Beauftragung kann ein juristisches Risiko für den Arbeitgeber darstellen, wenn Überwachungsergebnisse unzulässig oder rechtswidrig erlangt wurden.
Grenzen digitaler Kontrolle im Betrieb
Die Diskussion um den Umgang mit Krankmeldungen reiht sich in eine allgemeinere Debatte über Digitalisierung und Überwachung im Arbeitsverhältnis ein. In Zeiten zunehmender Möglichkeiten zur technischen Kontrolle – von GPS-Ortung über Leistungsdatenauswertung bis hin zu Bildaufzeichnungen – ist der rechtliche Rahmen enger denn je gezogen. Arbeitgeber dürfen diese Instrumente nicht beliebig einsetzen, sondern müssen stets die Verhältnismäßigkeit wahren und die Persönlichkeitsrechte ihrer Mitarbeitenden achten.
Der vorliegende Fall aus Niedersachsen zeigt exemplarisch, wie sensibel das Thema zu behandeln ist. Anstelle von Konfrontation und Überwachung sollten Betriebe auf eine Kultur gegenseitigen Vertrauens setzen. Wo berechtigte Zweifel bestehen, bieten sich strukturierte innerbetriebliche Gespräche oder – als ultima ratio – die Kontrollinstanzen der Sozialversicherungssysteme an.
Fazit
Heimliche Videoüberwachung durch den Arbeitgeber wegen Zweifel an einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist in der Regel unzulässig. Sie stellt nicht nur einen schwerwiegenden Eingriff in Persönlichkeitsrechte dar, sondern birgt auch erhebliche arbeits- und datenschutzrechtliche Risiken. Arbeitgeber sind gut beraten, Verdachtsfälle auf anderem Wege zu klären – rechtlich fundiert, verhältnismäßig und im Dialog mit den Betroffenen.