Studie: Druck und Überwachung per Arbeits-App
Immer mehr Unternehmen nutzen digitale Anwendungen, um die Arbeitsleistung ihrer Beschäftigten zu erfassen, zu analysieren oder zu steuern. Eine aktuelle Untersuchung des Instituts für Sozialforschung (ISF München) beleuchtet nun die Auswirkungen solcher Arbeits-Apps auf den Alltag abhängig Beschäftigter. Die Erkenntnisse aus der Studie zeichnen ein differenziertes Bild: Zwar können digitale Tools auch Transparenz und Effizienz fördern, oft jedoch gehen sie mit wachsendem Leistungsdruck, Kontrollmechanismen und neuen Formen der Überwachung einher.
Im Zentrum der Studie stehen sogenannte Arbeitsvermessungssysteme – Apps und Softwarelösungen, die etwa im Lager, im Außendienst oder in der Zustellung eingesetzt werden. Diese Systeme zeichnen Bewegungsdaten, Arbeitszeiten, Lieferintervalle oder Kundenbewertungen in Echtzeit auf. Die Studie stützt sich unter anderem auf Interviews mit Beschäftigten verschiedener Branchen, beispielsweise in der Logistik, Pflege oder im Handel.
Ein zentrales Ergebnis: Die Nutzerinnen und Nutzer dieser Systeme empfinden häufig Druck, ihre Leistungen konstant zu optimieren. Schon kleinste Abweichungen – etwa eine kurze Pause oder längere Toilettengänge – können in der Auswertung negativ auffallen. Manche Systeme verfügen sogar über gamifizierende Elemente wie Leistungsrankings innerhalb von Teams. Was vordergründig als Motivation gedacht ist, führt laut der Studie in der Praxis häufig zu Konkurrenzdruck und Stress.
Darüber hinaus dokumentieren die Forscherinnen und Forscher neue digitale Formen der Überwachung: Beispielsweise erhalten Vorgesetzte über Dashboard-Oberflächen einen genauen Überblick über den Aufenthaltsort, die Geschwindigkeit oder die zeitliche Effizienz ihrer Mitarbeitenden. Die Möglichkeit, jederzeit und minutengenau kontrolliert zu werden, verändert laut der Studie das Verhältnis zwischen Beschäftigten und Unternehmen fundamental. Der Vertrauensbegriff weiche zunehmend einem durch Softwarebedingungen geprägten Leistungsmisstrauen.
Besonders kritisch wird bewertet, dass viele dieser Anwendungen ohne transparente Kommunikation eingeführt werden. In zahlreichen der dokumentierten Fälle wussten die Betroffenen nicht genau, welche Daten überhaupt erfasst werden, wie lange sie gespeichert bleiben oder zu welchen Zwecken sie ausgewertet werden. Rechtliche Unsicherheiten, etwa beim Datenschutz oder bei der Mitbestimmung durch Betriebsräte, sind häufig anzutreffen. So wurden laut der Studie Softwarelösungen teils ohne vorherige Abstimmung mit den Arbeitnehmervertretungen eingeführt – was eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts nach dem Betriebsverfassungsgesetz darstellen könnte.
Gleichzeitig bergen digitale Tools auch Potenziale. So berichten einige Befragte von einer besseren Struktur im Arbeitsalltag, schnelleren Kommunikationswegen oder effizienteren Rückmeldeschleifen mit der Disposition. Insbesondere in stark ausgelasteten Branchen wie der Pflege können digitale Dienste zu einer lückenloseren Dokumentation und Planung beitragen.
Dennoch geraten insbesondere niedrigqualifizierte Beschäftigte in ein Spannungsfeld zwischen technischer Effizienzsteigerung und individuellen Belastungsgrenzen. Der wachsende Druck, durch die App "performen" zu müssen, versperre häufig Handlungsspielräume im Berufsalltag, so die Einschätzung der ISF-Autoren. Die Digitalisierung des Arbeitsplatzes bedeute damit nicht zwangsläufig eine Erleichterung, sondern häufig eine neue Form der Kontrolle.
Die Studie mahnt daher zur sorgfältigen Regulierung und Mitbestimmung beim Einsatz digitaler Systeme in der Arbeitswelt. Entscheidend für eine faire Gestaltung digitaler Technologien sei eine transparente Einführung unter Einbeziehung der Beschäftigten und ihrer Vertretungen. Nur so könne gewährleistet werden, dass potenzielle Vorteile wie Zeitersparnis, Übersichtlichkeit oder Qualitätssicherung nicht durch dauerhafte Überwachung und psychischen Druck zunichte gemacht würden.
Insgesamt macht die Studie deutlich: Arbeits-Apps sind längst Teil des Alltags vieler Beschäftigter. Ihre Auswirkungen reichen weit über bloße Organisation hinaus – sie betreffen Grundfragen von Autonomie, Vertrauen und Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Forderung nach klaren rechtlichen Rahmenbedingungen und einer aktiven Mitgestaltung durch Arbeitnehmervertretungen gewinnt damit an Gewicht.