Schreiben ohne Netz – die heikle Kunst der Berichtssprache
Die meisten Bilder scheitern nicht an der Optik, sondern an der Sprache. Ein Satz, der zu viel will, entwertet eine Aufnahme, die handwerklich solide war. Ein Adverb an der falschen Stelle macht aus Beobachtung Interpretation. Ein Tonfall, der klingen will, als sei man schon im Urteil, lädt die Gegenseite ein, an der Glaubwürdigkeit zu sägen. Der Ermittlungsbericht ist kein Roman. Er ist eine Maschine, die aus Zeitpunkten, Orten, Distanzen und Handlungen eine Kette baut, die hält. Schreiben ist hier keine Kür, es ist die zweite Halterung des Beweises.
Der erste Feind ist die Suggestion. Formulierungen wie „offensichtlich“, „scheinbar“, „wohl“ sind natürliche Krücken in müden Köpfen. Sie deuten an, was man nicht sicher weiß – und verraten damit dem Leser, dass man es nicht sicher weiß. Besser ist, den Mut zur Lücke zu haben: „Nicht erkennbar“, „Sicht kurz unterbrochen“, „Distanz schätzweise X Meter, Referenz: geparkter PKW“. Wer so schreibt, setzt sich Angriffen aus – aber er entwaffnet die wichtigsten: den Vorwurf, man habe dramatisiert.
Der zweite Feind ist der Ehrgeiz, „rund“ zu klingen. Berichte, die wie gute Texte lesen, sind verdächtig. Sie riechen nach Narrativ. Gute Berichte lesen sich trocken. Sie liefern Stellen, an denen Anwälte andocken können: exakte Zeitangaben, Koordinaten als Orientierung, EXIF-Nummern als Brücke zwischen Datei und Text, eindeutige Bildreferenzen statt „siehe Foto“. Sie machen es dem eigenen Zeugen leichter, später konsistent zu sprechen, weil die Sprache des Berichts bereits die Sprache der Aussage ist. Wer im Bericht poetisch ist, muss im Saal zurückübersetzen – und verliert dabei Teile der Glaubwürdigkeit.
Der dritte Feind ist die Unordnung. Beobachtungsnotizen, die in der Nacht zwischen Thermoskanne und beschlagenem Fenster entstehen, sind selten sauber. Der Bericht muss sie ordnen, ohne sie zu glätten. Das gelingt, wenn man eine einfache Regel befolgt: erst Chronologie, dann Kontext. Zuerst, was wann wo mit wem geschah. Danach, was das bedeutet, wenn es überhaupt Bedeutung braucht. Viele Berichte kippen die Ordnung um: Sie kommentieren vor, dokumentieren nach. Das wirkt klug – und ist gefährlich, weil der Leser nicht mehr klar trennen kann, was ist und was daraus folgt.
Der vierte Feind ist die Scham vor dem Negativ. Lücken, Abbrüche, vorsichtige Distanzen – all das klingt nach Schwäche, wenn man verkaufen will. Tatsächlich ist es Stärke. Ein Satz wie „Observation in Minute 54 unterbrochen, Grund: Gegenobservation vermutet, Abbruch gemäß Kriterium 2.2“ baut Vertrauen auf, nicht ab. Er zeigt, dass man ein System hatte und ihm folgte. Ein Satz wie „Nach Rückkehr Fortsetzung, Sicht durch Positionierung B (Plan Seite 3) wiederhergestellt“ macht sichtbar, dass man vorausschauend gearbeitet hat. Wer so schreibt, braucht keine große Geste. Die Form strukturiert die Überzeugung.
Der fünfte Feind ist das Publikum. Berichte, die gleichzeitig Mandanten beruhigen, Anwälte überzeugen und Gerichte instruieren sollen, misslingen. Besser ist die Zweigleisigkeit: Ein operativer Bericht in nüchterner Sprache; eine begleitende Zusammenfassung in verständlicher Tonlage, die das Ergebnis einordnet, ohne die Sachbasis zu verwässern. So kann der Mandant lesen, was er braucht, und der Anwalt hat das, was er verwerten kann. Alles in einem Text zu versöhnen, endet in einer Stimme, die überall fremd klingt.
Schreiben ist Arbeit am Beweis. Eine Kamera kann viel, aber sie spricht nicht. Wer den Beruf ernst nimmt, übt den Satz so sorgfältig wie den Schattenwechsel. Nicht für Stilpunkte – für Standfestigkeit.