Keine fristlose Kündigung nach Arbeitszeitbetrug | Recht
Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommern beschäftigt sich mit den rechtlichen Grenzen einer fristlosen Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs. Die Entscheidung stellt klar, dass einem Arbeitnehmer nicht ohne weiteres fristlos gekündigt werden darf, wenn es an konkreten Beweisen für eine vorsätzliche Täuschung fehlt. Der Fall unterstreicht die Bedeutung einer sorgfältigen und objektiven Prüfung durch Arbeitgeber, bevor arbeitsrechtliche Konsequenzen wie eine sofortige Kündigung gezogen werden.
Hintergrund des Falls
In dem verhandelten Fall ging es um einen langjährig beschäftigten Mitarbeiter eines öffentlichen Arbeitgebers. Der Arbeitgeber warf dem Beschäftigten vor, seine Arbeitszeiten manipuliert zu haben. Konkret wurde behauptet, der Arbeitnehmer habe sich an bestimmten Tagen als anwesend eingetragen, obwohl er sich nicht am Arbeitsplatz aufgehalten habe. Die Vorwürfe stützten sich auf die Auswertung einer elektronischen Zutrittskontrolle sowie auf Beobachtungen und Aussagen Dritter.
Der öffentliche Arbeitgeber sprach daraufhin die fristlose Kündigung aus – ohne vorherige Abmahnung. Dagegen erhob der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage und argumentierte, dass keine betrügerische Absicht vorgelegen habe. Vielmehr seien Abweichungen in der Zeiterfassung auf technische Probleme und unklare Dienstzeitenregelungen zurückzuführen.
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern gab dem Kläger Recht und erklärte die fristlose Kündigung für unwirksam (Urteil vom 25. Oktober 2023, Az. 5 Sa 15/23). Nach Auffassung des Gerichts lagen keine hinreichend gesicherten objektiven Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Täuschung durch den Arbeitnehmer vor. Die bloße Abweichung zwischen dokumentierter Arbeitszeit und elektronisch erfasster Zutrittszeit genüge für sich genommen nicht als Beweis eines Betrugs.
Die Richter betonten, dass eine außerordentliche Kündigung nur dann gerechtfertigt sei, wenn ein schwerwiegender Pflichtverstoß vorliegt, der das Vertrauen in die Integrität des Arbeitnehmers nachhaltig zerstört. Weiter müsse eine genaue Prüfung erfolgen, ob dem Arbeitnehmer vorher eine Abmahnung hätte erteilt werden müssen. In diesem Fall sei eine solche nicht erfolgt, obwohl sie nach Ansicht des Gerichts erforderlich gewesen wäre.
Anforderungen an den Nachweis eines Arbeitszeitbetrugs
Das Urteil macht deutlich, dass der bloße Verdacht eines Arbeitszeitbetrugs rechtlich nicht ausreicht, um eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Vielmehr müssen konkrete, objektiv nachprüfbare Beweise für eine vorsätzliche Manipulation vorliegen. Der Arbeitgeber trägt dabei die volle Beweislast für das vorgeworfene Verhalten.
Insbesondere in Fällen, in denen technische Systeme wie Zeiterfassung oder Zutrittssysteme eine Rolle spielen, müsse geprüft werden, ob diese fehlerfrei arbeiten und ob sie tatsächlich lückenlos Aufschluss über die Anwesenheit eines Mitarbeiters geben. Auch sei zu bewerten, ob organisatorische Unklarheiten, etwa in Bezug auf Dienstreisen oder Außendiensteinsätze, zu erklärbaren Abweichungen führen könnten.
Kriterien für eine fristlose Kündigung
Die außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB setzt einen wichtigen Grund voraus, der dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Es muss ein schwerwiegendes Fehlverhalten vorliegen, das das notwendige Vertrauensverhältnis dauerhaft erschüttert. Darüber hinaus ist stets eine Interessenabwägung vorzunehmen, wobei auch die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das bisherige Verhalten und mögliche Alternativen zu berücksichtigen sind.
In dem vorliegenden Fall konnte der Arbeitgeber nicht nachweisen, dass der Arbeitnehmer bewusst und systematisch unrichtige Arbeitszeiten dokumentiert hatte. Ebenso fehlte eine Abmahnung, die in vergleichbaren Fällen erforderlich ist, um den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinzuweisen und ihm Gelegenheit zur Verhaltensänderung zu geben.
Konsequenzen für die arbeitsrechtliche Praxis
Das Urteil hat weitreichende Folgen für den Umgang mit vermeintlichen Verstößen gegen die Arbeitszeitregelungen. Arbeitgeber sollten zur Vermeidung rechtlicher Risiken ihre Dokumentationspflichten sorgfältig erfüllen und bei Verdacht auf Manipulation stets eine umfassende Prüfung durchführen. Eine Anhörung des betroffenen Mitarbeiters sowie gegebenenfalls eine vorherige Abmahnung sind regelmäßig unerlässlich.
Für Arbeitnehmer zeigt das Urteil, dass sie sich gegen unbegründete oder voreilig ausgesprochene Kündigungen erfolgreich wehren können – insbesondere dann, wenn keine stichhaltigen Beweise vorliegen oder wenn vorherige arbeitsrechtliche Schritte seitens des Arbeitgebers unterlassen wurden.
Insgesamt stärkt die Entscheidung die Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und betont die Bedeutung eines fairen und rechtsstaatlichen Verfahrens auch im Rahmen arbeitsrechtlicher Sanktionen.
Fazit
Eine fristlose Kündigung darf nur auf tragfähiger Tatsachengrundlage ausgesprochen werden. Der bloße Verdacht eines Fehlverhaltens reicht nicht aus, wenn schwerwiegende Sanktionen wie eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses drohen. Arbeitgeber müssen ihrer Beweislast gerecht werden und – sofern möglich – mildere Mittel wie eine Abmahnung in Erwägung ziehen. Das Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern stellt dies noch einmal klar heraus und mahnt zur sorgfältigen Abwägung im Umgang mit vermeintlichen Arbeitszeitverstößen.