"Ich und Tod Detektei" von Patrick Wirbeleit und Matthias Lehmann: Der Sensenmann hat ein Problem
In „Ich und Tod Detektei“, einem illustrierten Kinderbuch von Patrick Wirbeleit (Text) und Matthias Lehmann (Illustrationen), trifft man auf eine ungewöhnliche Kombination: den personifizierten Tod im Auftrag eines Kindes – eine Konstellation, die sowohl skurril als auch einfühlsam erzählt wird. Die Geschichte verwebt Elemente des Krimis, klassischen Kinderbuchhumors und existenzieller Themen zu einer gleichermaßen unterhaltsamen wie reflektierten Erzählung.
Im Mittelpunkt steht Joschi, ein elfjähriger Junge mit detektivischen Ambitionen. Als seine Großmutter scheinbar spurlos verschwindet, ruft er kurzerhand eine Detektei ins Leben – und holt sich dabei Hilfe von einer geradezu unerwarteten Figur: dem Tod. Dieser stellt sich allerdings ganz und gar nicht bedrohlich dar. Statt düsterem Schnitter begegnet man einer Figur, die zwischen Dienstanweisung und einer Art Midlife-Crisis zu schwanken scheint. Dabei bezeugen sowohl Text als auch Bild eine hohe Sensibilität im Umgang mit tabuisierten Themen wie dem Tod und Verlust – auf Augenhöhe mit einem jungen Publikum.
Die entschlossene wie pragmatische Hauptfigur Joschi lässt sich von bürokratischen Schranken im Jenseits ebenso wenig aufhalten wie von der allgemeinen Skepsis ihrer Umwelt. Stattdessen wird der Tod kurzerhand als Gehilfe eingespannt. Doch auch er scheint in existenziellen Nöten zu stecken, trifft man ihn doch bei seinem ersten Auftritt nicht etwa als souveräne kosmische Instanz, sondern als hilflosen Brillenträger mit Burnout-Symptomen. Genau hier entfaltet das Buch seine eigentliche Stärke: Es nutzt surrealen Humor und visuelle Überzeichnung, um mit ernsten Themen spielerisch umzugehen. Dabei bleibt es stets respektvoll im Ton und bewahrt pädagogische Sorgfalt.
Besonders sticht die visuelle Gestaltung hervor. Matthias Lehmanns Illustrationen wirken bewusst reduziert, fast skizzenhaft, mit einer starken Linie und gedeckten Farben. Die Panels erinnern in ihrem Aufbau an klassische Comics, doch die dynamische Erzählweise und der Wechsel zwischen szenischer Darstellung und erzählendem Text schaffen eine eigene Bildsprache. Die Darstellung der Figur Tod schwankt zwischen der rituellen Ikonografie – Sense, schwarzer Umhang, tiefe Augenhöhlen – und einer fast bürokratischen Überzeichnung: als erschöpfter Verwaltungsbeamter des Jenseits.
Durch die konsequente Durchbrechung gewöhnlicher Erzählmuster gelingt es „Ich und Tod Detektei“, traditionelle Vorstellungen über das Leben nach dem Tod zu hinterfragen. Die Geschichte wechselt Schauplätze zwischen Gegenwart, Erinnerungen und einer kafkaesken Jenseitsbehörde. Es sind vor allem diese Wechsel, die Kindern (und auch Erwachsenen) neue Perspektiven auf endliche Themen anbieten. Der Tod ist hier weder Schreckensfigur noch allwissender Richter, sondern vielmehr ein Wesen mit Aufgaben, Fristen und Überforderung – menschliche Züge, die ihn greifbar machen, ohne ihn zu trivialisieren.
Im Verlauf der Handlung werden Fragen aufgeworfen, die weit über die ursprüngliche Detektivgeschichte hinausgehen. Was bedeutet Abschied? Welche Erinnerungen tragen wir weiter? Und: Muss man den Tod fürchten oder lässt sich mit ihm womöglich ein Dialog führen? Hier kommt Wirbeleits Erzähltext besonders zur Geltung, der mit lakonischem Humor und klarem Vokabular arbeitet. Statt dramatischer Zuspitzungen stehen Dialoge im Vordergrund, die ebenso Alltagslogik wie metaphysische Tiefe enthalten. Der gesamte Ton bleibt dabei kindgerecht, ohne jemals belehrend zu wirken.
Juristisch ließe sich das Buch als unbedenklich im Sinne kinderbuchspezifischer Altersfreigaben einordnen. Es enthält weder Gewalt noch unangemessene Inhalte. Zwar werden Tod, Verlust und Trauer thematisiert, doch stets auf eine Weise, die einem reflektierten pädagogischen Anspruch genügt. Die Gestaltung ist nicht aimiert auf Schock, sondern darauf ausgelegt, Gesprächsanlässe zu schaffen. Auch unter Gesichtspunkten der Altersstufeneignung bietet sich das Buch für Kinder ab etwa acht Jahren an – abhängig von individueller Reife und Begleitung durch Erwachsene.
„Ich und Tod Detektei“ steht in einer Reihe mit anderen Büchern, die sich trauen, tabuisierten Themen Raum zu geben, ohne sich auf moralinsauren Anspruch zu reduzieren. Dabei erinnert das Werk in seiner Mischung aus Humor, Ernst und grafischer Schrullenhaftigkeit an Veröffentlichungen wie „Die erstaunlichen Abenteuer von Kavalier und Clay“ in jugendgerechter Form – mit einem klaren Fokus auf kindlicher Perspektive und kindlichen Fähigkeiten zur Detektivarbeit und Selbstermächtigung.
Im deutschsprachigen Kinderbuchmarkt, in dem häufig Bewegung zwischen Unterhaltung und Aufklärung herrscht, setzt „Ich und Tod Detektei“ einen eigenständigen Akzent. Kinder werden weder in kindliche Naivität versetzt, noch überfordert – ein Balanceakt, der in der Kombination aus Text und Illustration gelingt. Die Thematisierung des Todes als reale, aber nicht finale Größe des Lebens eröffnet nicht nur Raum für Auseinandersetzung, sondern auch für Resilienzbildung im jungen Alter.
Fazit: Patrick Wirbeleit und Matthias Lehmann präsentieren mit „Ich und Tod Detektei“ ein Kinderbuch, das auf leichte, humorvolle und zugleich tiefgründige Weise Themen behandelt, die oft ausgeklammert werden. Ohne Pathos, mit erzählerischer Präzision und zeichnerischer Eigenständigkeit gelingt ein Werk, das dem Tod nicht das letzte Wort überlässt – sondern dem Leben einen neuen Ton verleiht.