Echtheit unter Beschuss – Beweise in Zeiten synthetischer Bilder
Noch vor wenigen Jahren genügte ein scharfes Foto, ein sauberer Zeitstempel und der Satz: „Das ist passiert.“ Heute genügt ein Taschencomputer, um Zweifel zu säen. Synthetische Medien, generative Bildmodelle, perfekte Retusche aus der Jackentasche – die Verdächtigung „Fake“ ist kein Spezialwissen mehr, sondern Allgemeinreaktion. Für die Detektivarbeit bedeutet das eine doppelte Pflicht: nicht nur Wirklichkeit dokumentieren, sondern ihre Herkunft beweisbar machen. Echtheit ist kein Gefühl. Sie ist ein Verfahren.
Der erste Anker ist banal und entscheidend: RAW. Wer Originaldateien nicht sichert, verschenkt die stärkste Waffe gegen Manipulationsvorwürfe. RAW trägt Sensorrauschen, Herstellerfingerabdrücke, Prozessspuren, die sich nicht nachbauen lassen, ohne Artefakte zu hinterlassen. Zusammen mit Hashwerten, die bei erster Sicherung gebildet und protokolliert werden, entsteht eine Kette, die aus „Bild“ ein „Beweisstück“ macht. JPEGs im Messenger sind Erinnerungen. RAW mit Hash ist Material.
Der zweite Anker ist Kontext. Bilder, die in der Erzählung hängen wie Dekoration, laden zur Attacke ein. Bilder, die in eine minutiöse Chronologie eingewoben sind, verlieren Angriffsfläche. Jede Aufnahme braucht Koordinaten in Zeit und Raum: exakte Minutenangabe, Bezugsereignis, Position des Beobachters, Distanzschätzung mit Referenz, ergänzende Notiz im Observationstagebuch. Auch zwei „schwächere“ Fotos, die in einer sicheren Sequenz liegen, schlagen ein „perfektes“ Einzelbild, das aus der Erzählung fällt. Synthetische Medien leben von der Isolierung. Methode antwortet mit Kette.
Der dritte Anker ist Redundanz im Capture. Wo es rechtlich möglich und taktisch vertretbar ist, hilft Variation: ein zweiter Blickwinkel wenige Sekunden später, eine Videosequenz als Begleitspur, eine Referenzaufnahme der Szene unmittelbar nach dem Ereignis. Nicht die Opulenz ist das Ziel, sondern die Prüfbarkeit. Wer zeigen kann, dass Aufnahme A und B aus derselben Position, mit derselben Brennweite, in einem plausiblen Zeitfenster entstanden, gewinnt. Wer nur ein „Money Shot“ hat, verliert gegen die Behauptung, er sei „zu gut“.
Der vierte Anker ist die Hygiene der Weitergabe. Jede Konvertierung, jeder Export, jeder Transfer ist ein potenzieller Einfallspunkt für Zweifel. Also wird der Weg dokumentiert: von der Karte in die gesicherte Umgebung, von dort in den Exportordner, beschriftet, nummeriert, mit Logfile. Es klingt spiessig, ist aber die Sprache, die Gerichte verstehen. Der Gegensatz zur künstlichen Genialität ist die langweilige Sorgfalt. Und genau diese Langweile schlägt heute „Wow“.
Der fünfte Anker ist die Demut vor dem Negativ. Wer Material beschönigt, überschärft, „aufhellt“, weil der Mandant „besser sehen“ will, sägt am Ast, auf dem er sitzt. Jede Bearbeitung wird dokumentiert – und wenn sie nicht dokumentiert werden kann, unterbleibt sie. Helligkeit anheben ist nicht strafbar. Es ist aber ein Schritt, der angreifbar wird, wenn er heimlich geschieht. Der professionelle Satz im Bericht lautet nicht „Bild verbessert“, sondern „Belichtung +0,5 EV, keine selektiven Anpassungen, Originaldatei liegt als RAW mit Hash X vor“. Langweilig, wieder. Stark, wieder.
Echtheit verteidigen heißt letztlich: Herkunft sichtbar machen. In einer Welt, in der Zweifel billig ist, wird die Kunst des Belegs teurer – und wertvoller. Wer sie beherrscht, muss synthetische Bilder nicht fürchten. Er muss sie nur einkalkulieren als das, was sie sind: das neue Grundrauschen, gegen das man mit Verfahren spricht.