ARD-Krimi-Serie „Die Füchsin“: Eine Stasi-Agentin pfeift auf die Schuldgefühle
Mit der ARD-Krimiserie „Die Füchsin“, die seit 2015 im Ersten ausgestrahlt wird, betritt das deutsche Fernsehen thematisches Neuland, indem es eine Hauptfigur in den Mittelpunkt stellt, deren Biografie eng mit der Arbeit für das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR verknüpft ist. Die Serie rund um die Privatdetektivin Anne Marie Fuchs, dargestellt von Lina Wendel, verzichtet dabei bewusst auf eine plakative Auseinandersetzung mit Schuld und Sühne. Stattdessen wird die Vergangenheit der Protagonistin nuanciert in ein aktuelles Ermittlungsumfeld eingebettet.
Zentrale Figur der Reihe ist Anne Marie Fuchs, eine scheinbar zurückgezogene Rentnerin, die unter dem Deckmantel der Unscheinbarkeit ihre kriminalistischen Talente entfaltet. Im Laufe der Serie wird klar, dass Fuchs in ihrer Jugend für die Stasi gearbeitet hat – ein Aspekt, der sie nicht als reuige Sünderin, sondern als ambivalente Figur mit klaren moralischen Überzeugungen erscheinen lässt. Entgegen der gängigen Darstellung ehemaliger DDR-Geheimdienstmitarbeiterinnen bietet „Die Füchsin“ eine protagonistinnenzentrierte Sichtweise, die pauschalisierende Schuldzuweisungen vermeidet.
Juristisch wie historisch ist der Umgang mit ehemaligen Stasi-Mitarbeiterinnen in Deutschland seit der Wende komplex. Viele von ihnen wurden strafrechtlich nicht belangt, sondern mussten sich mit gesellschaftlicher Ächtung und struktureller Ausgrenzung auseinandersetzen. Die Serie greift diesen Hintergrund zwar auf, meidet jedoch eine moralisierende Tonlage. Vielmehr steht die Frage nach individueller Verantwortung im Vordergrund – sowohl in der Vergangenheit als auch im heutigen Handeln der Figur.
Die Figur der „Füchsin“ ist keine klassische Heldin. Ihre Methoden sind unkonventionell, ihre Motive bleiben oft im Dunkeln. Dass sie dabei gelegentlich Regeln beugt und sich in Grauzonen der Legalität bewegt, macht sie zu einer glaubwürdigen Ermittlerin im Spannungsfeld zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Juristisch betrachtet wirft dies Fragen auf, etwa nach der Verjährung möglicher Straftaten oder der Rolle informeller Mitarbeiter (IM) im DDR-Unrechtssystem. Die Serie geht diesen Fragen nicht explizit auf rechtlicher Ebene nach, suggeriert jedoch, dass Wahrheit und Gerechtigkeit nicht immer durch Gerichte hergestellt werden können.
„Die Füchsin“ spielt mit stereotype Erwartungen, ohne sie zu reproduzieren. Wo in anderen Formaten Täterkarrieren aus DDR-Zeiten als schlichte dunkle Kapitel dargestellt werden, erlaubt die Serie ihrer Hauptfigur, im Hier und Jetzt eine neue Identität zu behaupten – nicht losgelöst von der Vergangenheit, aber auch nicht endgültig von ihr definiert. Damit berührt das Drehbuch auch die gesellschaftspolitische Debatte darüber, wie mit DDR-Biografien heute umzugehen ist. Besonders in Ostdeutschland zeigt sich ein differenziertes Bedürfnis nach Erinnerungskultur, das zwischen Aufarbeitung und Anerkennung individueller Lebensläufe vermitteln möchte.
Rechtlich gesehen ist die Darstellung ehemaliger Stasi-Mitarbeiterinnen im fiktionalen Kontext erlaubt, sofern keine falschen Tatsachenbehauptungen erfolgen und Persönlichkeitsrechte gewahrt bleiben. Bei einer fiktiven Figur wie Anne Marie Fuchs sind diese Hürden gering. Dennoch bewegt sich die Serie in einem sensiblen Bereich, insbesondere da sie eine Ex-Stasi-Agentin zur Sympathieträgerin erhebt. Kritiker könnten dies als Verharmlosung staatlicher Repression werten – dem entgegen steht jedoch die komplexe Figurenzeichnung, die keine simple Rehabilitierung betreibt.
Von dramaturgischer Seite lebt „Die Füchsin“ davon, dass sie verschiedene Ebenen miteinander verbindet: Kriminalfälle mit aktuellem gesellschaftlichem Bezug, persönliche Verantwortungsfragen und historische Tiefe. Dies verleiht der Serie eine gewisse Einzigartigkeit im Krimigenre, das sich häufig auf gegenwärtige Delikte und lineare Ermittlungsarbeit beschränkt. Die Vergangenheit der Hauptfigur wird weder verschwiegen noch zentralisiert – sie bildet einen beständigen Subtext, bleibt aber in ihrer moralischen Bewertung offen.
Besonders hervorzuheben ist die Zurückhaltung, mit der die Serie Schuldgefühle behandelt. Anne Marie Fuchs zieht keine Genugtuung aus ihrer früheren Tätigkeit, aber sie distanziert sich auch nicht lautstark. Die Figur wirkt im besten Sinne souverän – nicht gefühllos, aber bewusst darin, wie sie sich zu ihrer Geschichte stellt. In einer medialen Landschaft, in der oft entweder draufgehalten oder verdrängt wird, bietet „Die Füchsin“ eine dritte Option: die der reflektierten Weiterentwicklung.
Insgesamt liefert „Die Füchsin“ einen Beitrag zur medialen Aufarbeitung deutsch-deutscher Geschichte, der auf pauschale Bewertungen verzichtet. Die juristische Dimension der Vergangenheit schwingt mit, ohne didaktisch zu sein. Dass die Hauptfigur keine Schuldbekenntnisse ablegt, sondern sich durch ihr heutiges Handeln definiert, ist durchaus erzählerisch wie ethisch folgerichtig. Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk muss dies jedoch kein Freifahrtschein sein, sondern vielmehr Anstoß zur Diskussion: Wie kann Erinnerungskultur funktionieren, wenn sie sich nicht auf eindeutige Täter-Opfer-Zuschreibungen stützt?
Ob „Die Füchsin“ letztlich als Beitrag zur historischen Gerechtigkeit gewertet werden kann, bleibt offen. Fest steht jedoch, dass die Serie einen ungewöhnlichen Weg geht – einen, der Differenzierung zulässt und dabei keine Angst vor Ambivalenz hat. In der Figurenkonstruktion von Anne Marie Fuchs wird so ein Raum geschaffen, in dem individuelle Verantwortung nicht mit pauschaler Schuld verwechselt wird, und in dem Vergangenes nicht verleugnet, aber auch nicht überhöht oder verteufelt wird.