ARD-Krimi-Serie „Die Füchsin“: Eine Stasi-Agentin pfeift auf die Schuldgefühle
Die ARD-Krimiserie „Die Füchsin“ geht in ihre finale Staffel. Im Mittelpunkt steht wieder die ostdeutsche Ex-Stasi-Agentin Anne Marie Fuchs, gespielt von Lina Wendel. Seit ihrem Debüt 2015 hat sich die Reihe in der Krimilandschaft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens als besonderer Beitrag etabliert – fernab von klassischer Täterfahndung, stattdessen mit einem vergleichsweise ungeschönten Blick auf Ost-West-Biografien und moralische Ambivalenzen. In der nun beginnenden letzten Staffel wird dieses Spannungsfeld besonders stark thematisiert.
Anne Fuchs arbeitet inzwischen nicht mehr offiziell als Privatdetektivin. Dennoch lässt sie sich zur Unterstützung ihres Partners Youssef El Kilali (gespielt von Karim Chérif) erneut auf Ermittlungen ein. Der neuste Fall führt die beiden in ein Seniorenheim in Düsseldorf, dessen Betreiber unter Verdacht steht, Pflegekräfte auszubeuten. Das ist jedoch nur der äußere Handlungsteil. Viel stärker rückt diesmal Fuchs’ eigene Vergangenheit in den Fokus – insbesondere ihre Zeit als IM (inoffizielle Mitarbeiterin) der DDR-Staatssicherheit.
Die Figur der Anne Fuchs stellt in ihrer Ambivalenz eine Ausnahmeerscheinung im deutschen Krimifernsehen dar. Zwar sind Bezüge zur DDR-Vergangenheit im Genre keine Seltenheit, doch selten wird eine frühere Stasi-Agentin als Protagonistin mit kontinuierlichem moralischem Eigenleben dargestellt. Fuchs bereut ihre Vergangenheit nicht in dem Maße, wie es dem westdeutschen Narrativ von Reue und Buße entsprechen würde. Die Serie verweigert sich damit einer eindimensionalen Schuld-Erzählung.
Gerade darin liegt eine besondere Qualität der „Füchsin“. Die Serie wagt es, eine Figur zeichneten zu lassen, deren Biografie nicht einfach in Gut und Böse auflösbar ist. Im Gegensatz zu den meisten Krimis, in denen der Fall am Ende gelöst und die moralische Ordnung wiederhergestellt wird, bleibt bei Anne Fuchs immer eine doppelte Unsicherheit bestehen: die um den aktuellen Fall – und die um ihre Rolle in der Vergangenheit.
Dabei ist die Serie keineswegs apologetisch gegenüber der Tätigkeit für die Stasi. Vielmehr zeigt sie, wie komplex persönliche Entscheidungen im historischen Kontext sein können. Anne Fuchs’ Haltung gegenüber ihrer Vergangenheit ist von Pragmatismus geprägt, nicht von Reue. Auch wenn ihr Umfeld – insbesondere Youssef El Kilali – dies kritisch hinterfragt, bleibt „Die Füchsin“ ihrer Linie treu: nicht zu urteilen, sondern Ambivalenzen zu zeigen.
Formal bleibt die Serie auch in der Abschiedsstaffel ihrem ruhigen, geradezu unterkühlten Stil treu. Die Inszenierung verzichtet weitgehend auf Action oder Spannungsdramaturgie und setzt stattdessen auf leise Zwischentöne. Kameraführung und Lichtgestaltung reflektieren den inneren Zwiespalt der Hauptfigur. Gleichzeitig gelingt es der Serie, ihre gesellschaftskritischen Themen – etwa Ausbeutung im Pflegebereich, strukturelle Diskriminierung oder Generationskonflikte – organisch in die Krimihandlung zu integrieren.
Die schauspielerische Leistung von Lina Wendel trägt erheblich zur Authentizität der Figur bei. Sie verkörpert Anne Fuchs mit einer Mischung aus Härte und Verletzlichkeit, die glaubhaft erscheinen lässt, dass diese Frau zwischen den Welten lebt – zwischen DDR-Vergangenheit und Gegenwart, zwischen moralischem Anspruch und pragmatischer Lebensführung. Karim Chérif als Youssef El Kilali liefert dem eine wichtige Kontrastfigur: als westlich geprägter Ermittler mit klaren Positionen, der dennoch bereit ist, seine ideologischen Gewissheiten zu hinterfragen.
In der neuen Staffel verdichtet sich das Verhältnis der beiden Ermittler nochmals. Aus anfänglicher Zweckgemeinschaft ist über die Staffeln hinweg eine komplexe Beziehung entstanden, in der private Bindungen und professionelle Loyalität oft schwer zu trennen sind. Die Serie nutzt diesen Kontrast auch, um strukturelle Fragen zu stellen: über Identität, Zugehörigkeit und gesellschaftliche Anerkennung – Themen, die im vereinigten Deutschland bis heute virulent sind.
Der Umstand, dass eine frühere Stasi-Agentin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur abendlichen Hauptsendezeit als Identifikationsfigur gezeigt wird, war und ist nicht unumstritten. Kritiker werfen der ARD vor, durch eine solche Darstellung die Verbrechen der DDR-Staatssicherheit zu relativieren. Befürworter hingegen sehen in der Serie einen wichtigen Beitrag zur differenzierten Aufarbeitung der deutschen Teilungsgeschichte.
Faktisch lässt sich festhalten, dass „Die Füchsin“ nie versucht hat, Anne Fuchs als Heldin zu inszenieren. Vielmehr wird sie als Mensch mit Brüchen und Widersprüchen gezeichnet. Ihre Vergangenheit wird thematisiert, ohne sie zu verharmlosen oder vollends zu verdammen. Gerade diese Balance macht die Serie zu einem bemerkenswerten Beispiel dafür, wie Unterhaltung und gesellschaftliche Selbstreflexion zusammengehen können.
Mit dem angekündigten Ende der Serie verliert das ARD-Krimiangebot eine narrative Stimme, die den Mut hatte, aus bekannten Mustern auszubrechen. Es bleibt abzuwarten, ob sich ähnliche Formate etablieren können, die vergleichbar komplexe Charakterzeichnungen wagen. Das Staffel- und Serienfinale wird aus Sicht vieler Kritiker zur Nagelprobe dafür, ob sich der bisherige Anspruch der Reihe auch in einem stimmigen Abschluss widerspiegeln kann.
„Die Füchsin“ zeigt damit einmal mehr: Schuld ist keine einfache Rechnung, und Gerechtigkeit keine abschließbare Kategorie. Dass ein Krimiformat sich dieser moralischen Grauzone stellt, ist im deutschen Fernsehen nach wie vor selten – und für viele Zuschauer ein Grund, die Serie bis zum Ende zu begleiten.